AfroBlog


Beten für Jean-Luc

Vor rund einem Jahr sind wir ihm begegnet: dem kleinen Jean-Luc mit dem großen Wasserkopf. Er ist jetzt schon drei Jahre alt. Sein Arzt hört nicht auf, sich zu wundern. Einmal pro Monat ruft er die Eltern an: „Wie geht es ihm? Ißt er gut? Schläft er nachts durch? Hat er Schmerzen? Was freut ihn? — Nächsten Monat fliegen wir wieder nach Dakar. Ich werde ihn im Krankenhaus untersuchen. Gottes Segen Euch allen!”

Vor einem Jahr sah alles noch dramatisch aus. Wir berichteten von seiner Hydrocephalie, der Diagnose, die Eltern vor Schreck erstarren lässt; von der Krankheit, die Kinder 24 Stunden am Tag quälen kann. Von Jean-Lucs junger senegalesischer Mutter, die gleich beim ersten Kind dieser Prüfung ins Auge sehen musste. „Keine Chance!” sagten im ersten Lebensjahr die Ärzte, als sich die Krankheit im vierten Monat zeigte. „Geschieht dir recht; was musstest du auch schwanger werden”, tönte es oft. „Guck dir den Kopf des Kindes an! Das ist kein Mensch, das ist ein Schlangenwesen! Vergifte es! Sonst bringst Du uns alle in Gefahr.” Die Stimme einer grausamen Tradition. Doch die Mutter ging  ihren eigenen Weg, den Weg des Gebetes. „Herr, ich lege das Leben meines Kindes in Deine Hände.” 

Mit zwei Jahren hat Jean Luc eine Operation gut überstanden. Freunde hatten für diese Operation gespendet. Jean Luc wohnte ein paar Tage bei uns. Wir beobachteten damals, wie er versuchte zu sprechen, wie er Personen wiedererkannte, vom Schielen zum gerichteten Blick wechselte, anfing zu spielen und begann zu … lächeln! „Halleluja” rief die Mutter und ihr Jubel kam aus tiefstem Herzen.

Damals sagten Ärzte noch: „Keine Chance, Ihr Kind hat auch Krebs!” Françoise, die Mutter, schwankte ein paar Tage lang. Eine mütterliche Freundin riet ihr schließlich gut zu, schenkte ihr neue Kraft. Françoise wird nicht aufhören zu beten und auf Gottes Weisheit zu vertrauen. Beten wir mit ihr für ihr Kind! Sozusagen unser monatlicher Anruf bei Gott.

Schwimmen im Mittelmeer

Unser Taxi hält an der Tankstelle; wir steigen aus und werden sogleich von Händlern aller Art angesprochen. Wir haben die Wahl zwischen Turnschuhen, die auf dem Bürgersteig ausgebreitet wurden, Telefonkarten („Heute 50% Nachlass“), Mandarinen, Wäsche, Zeitungen. Ich wähle unter den in der Hand des jungen Mannes aufgefächerten Zeitungen den senegalesischen „Observateur“, der auf Seite eins Informationen zum letzten Drama in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla ankündigt: Fünfzehn Leichen afrikanischer Migranten aus dem Wasser gefischt, darunter mehrere Senegalesen. Weiter auf Seite 3.

Doch erste einmal geht’s zum Bus, der sich hier am Knotenpunkt von Keur Massar eine Auszeit nimmt, bis neue Fahrgäste die entstandenen Lücken wieder aufgefüllt haben. Zwei Blinde um die 50 nutzen die Minuten, um unter frommen Gesängen zu betteln, einer im Bus, einer am Eingang. Ein eingespieltes Team. Eine willkommene Fahrtpause auch für Bettelkinder, die an den Erwachsenen vorbeihuschen und ihre gelben Schüsselchen für die Almosen den Fahrtgästen präsentieren. Ein Fahrgast findet vorne neben dem Fahrer Platz für drei Kartons mit Küken, die nach Fahrtbeginn aufgeregt anfangen werden zu quieken. Hühnerzucht läuft gut und die lokale Niederlassung der der topmodernen SEDIMA (der Präsident höchstpersönlich liefert einen Willkommensgruß), die Küken und Körner für die nationale Selbstversorgung verspricht, befindet sich gleich um die Ecke. 

Der Bus setzt sich in Bewegung und ich kann auf Seite drei weiterlesen. Es geht um ein neuerliches Drama in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, die direkt vor der Haustüre Marokkos auch nach dessen Unabhängigkeit noch von der einstigen Großmacht Spanien Zeugnis ablegen, sozusagen ein afrikanisches Gibraltar mit umgekehrten Vorzeichen. Fünfzehn Flüchtlinge sollen versucht haben, so zitiert der OBS erste Vermutungen, das spanische Festland schwimmend zu erreichen. Durch die Straße von Gibraltar nach Spanien schwimmen? Trainierte Sportler schaffen die gut 20 Kilometer vom spanischen Tarifa nach Marokko in rund vier Stunden — mit Begleitboten, Radar, GPS, kurzen Essens- und Trinkpausen. Aber in umgekehrter Richtung gegen Wind und Strömung am Ende des Winters ohne Hilfe? Die erste Vermutung gehört ins Reich der Fabeln. Aber warum gehen dann Flüchtlinge ins Wasser? 

Hinter dem Drama verbergen sich zunächst einmal die devoluciónes en calientes, umgehende Rückführungen von Flüchtlingen. Dabei soll die Polizei im Prinzip dem spanischen Gesetz entsprechend den Einzelfall prüfen — doch bei Personen, die ohne Papiere reisen, um nicht ausgewiesen zu werden, wird die im Wortsinne umgehende Ausweisung zur práctica habitual, zur Standardmaßnahme. Na gut, könnte man aus der Ferne meinen, dann werden die Flüchtlinge halt einen zweiten und dritten Versuch wagen. Doch dazu kommt es wohl kaum, wie der Redakteur des OBS erläutert. Denn nach derdevolución en caliente greift eine andere práctica habitual jenseits der spanischen und marokkanischen Gesetze. Berichtet wird immer wieder, wie Flüchtlinge misshandelt werden und in der Wüste auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Wüste oder Wasser — eine tödliche Alternative.

Derweil vermeldet der Fernsehsender laSextaCeuta teme otro caso de menores usados para llegar a España, dass man nämlich in Ceuta einen erneuten Versuch befürchtet, Minderjährige auszunutzen, um nach Spanien zu gelangen. 2000 € soll die Schleusermafia für einen Kindertransport verlangen. So greift die Guardia Civil schon zu DNA-Tests, um das Verwandtschaftsverhältnis unter Flüchtenden zu prüfen. FRONTEX, die europäische Behörde, die die Außengrenzen der EU sichern soll, bestätigt: …few issues are more emotive than the trafficking of children, nur wenige Themen lösen so viele Emotionen aus wie der Kinderhandel. Da wollen vielleicht Eltern ihr Kind ins Paradies Europa senden, mitfliehende Bekannte glauben, einen guten Dienst zu leisten, wenn sie sich als Eltern ausgeben, doch das Sklavendrama beginnt dann jenseits der Grenze im Gelobten Land des Nordens: The crime doesn’t occur at the border. The exploitation typically comes later…Derweil steigt vor dem Hintergrund der zahlreichen politischen und sozialen Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent die presión migratoria, der Einwanderungsdruck, weiter an.

Wie dem Strudel aus Behördensprache (devoluciónes en calientes) oder der Sprache demographischer Physik (presión migratoria) entkommen? „Horizon sans frontières“ (Horizont ohne Grenzen), eine Nicht-Regierungs-Organisation, in der sich „Weltbürger“ dem Kampf gegen Flüchtlingselend verschrieben haben, wechselt den Diskurs und spricht von der „Krankheit Armut“, gegen die sich Afrikaner nicht zu Hause aber in Europa „impfen“ lassen könnten. Den medizinischen Metaphern antwortet die Xenophobie: „Wenn sie denn nicht in Großstädten den Drogenhandel bestimmen“, rufen die Rechtsextremen zurück, zeigen auf Bildern afrikanische Armut und afrikanischen Müll, polemisieren mit stumpfsinnigen Sprüchen. Je mehr man sich ins Thema vergräbt, desto mehr ringt man nach Luft.

Als ich vor einigen Wochen diese Nachricht hörte, die sich leider sehr oft wiederholte, drangen die Gedanken immer wieder wie ein Leid bringender Stich ins Herz. Und da habe ich gespürt, dass ich heute hierher kommen musste, um zu beten, um eine Geste der Nähe zu setzen, aber auch um unsere Gewissen wachzurütteln, damit sich das Vorgefallene nicht wiederhole. Es wiederhole sich bitte nicht. 

Hier spricht endlich die Stimme des Erbarmens, des Mitleidens, die Stimme Papst Franzikus’ in Lampedusa

„Adam, wo bist du?“, lautet die erste Frage, die Gott an den Menschen nach dem Sündenfall richtet. „Wo bist du, Adam?“ Adam ist ein Mensch ohne Orientierung, der seinen Platz in der Schöpfung verloren hat, weil er glaubt, mächtig zu werden, alles beherrschen zu können, Gott zu sein. Und die Harmonie geht zu Bruch, der Mensch geht fehl, und dies wiederholt sich auch in der Beziehung zum anderen, der nicht mehr der zu liebende Bruder ist, sondern bloß der andere, der mein Leben, mein Wohlbefinden stört. Und Gott stellt die zweite Frage: „Kain, wo ist dein Bruder?“ Der Traum, mächtig zu sein, groß wie Gott, ja Gott zu sein, führt zu einer Kette von Fehlern, zur Kette des Todes, führt dazu, das Blut des Bruder zu vergießen!“

Papst Franziskus erinnert uns daran, dass die vielen fliegenden Händler, Bettler, Busfahrer, Mandarinenverkäuferinnen und natürlich die Flüchtlinge zuallererst unsere Brüder und Schwestern sind. Im Anschluss an Gottes Wort, im gemeinsamen Gebet, können wir lernen, in der Sprache der Nächstenliebe über sie und mit ihnen zu reden.

Santa Giuseppina Bakhita

Prima vista scheint das Auge sogleich das Glück zu erfassen: eine Frau von bezaubernder Schönheit, Tochter einer angesehenen Familie aus der Region Darfur im Südwesten des Sudan. Sie musste wohl glücklich sein und trug deshalb zu recht den Namen Bakhita, die Glückliche.

Der zweite Blick dagegen lässt Fragen auftauchen: ihre Kleidung hat nichts Soudanesisches an sich und sie trug mit „Bakhita“ ausgerechnet einen arabischen Namen, obwohl Araber doch jahrhundertelang den östlichen Sklavenhandel dominierten.

Den Namen Bakhita erhielt sie in der Tat von ihren Sklavenherrn, die sie raubten, folterten, verkauften und wieder verkauften. Ein purer Zynismus der Sklavenhalter im Osmanischen Reich, deren Grausamkeit sie ihren ursprüngliche Namen vergessen ließ. In den Wirren des Mahdi-Aufstandes gelangte sie in den Haushalt des stellvertretenden italienischen Konsuls und mit ihm und dessen Familie nach Italien.

Nach weiteren Irrungen und Wirrungen fand sie endlich ihr Zuhause bei den Canossianer-Schwestern, deren Tracht sie auf dem Bild trägt.

Ihre Sorge galt nicht zuletzt der Mission in Afrika. 

Die Region Darfur leidet noch heute und braucht das Gebet der Christen in besonderem Maße. Beten wir für ihr Glück im Glauben an den „Herrn aller Herren“, der uns Menschen befreit!

Friedenswünsche

„Auch ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein gutes neues Jahr 

in Ihrer hoffentlich bald friedfertigen neuen Heimat.

Beste Grüße…“

Mein alter Lateinlehrer, den ich vor kurzem bei einem Klassentreffen wiedertraf, macht sich Sorgen um unsere Familie hier in Afrika. Was für ein Bild vermitteln auch die Abendnachrichten? Kriege in Südsudan und Ostkongo, weiterhin Attentate in Mali, unserem direkten östlichen Nachbarn, wo letztes Jahr die französische Armee intervenierte. Gewalt auch in der Zentralafrikanischen Republik, die jetzt immerhin eine Übergangspräsidentin gefunden hat. Deutsche Soldaten werden diesmal den französischen Einheiten direkt behilflich sein. Dabei ließe die Liste der Gewaltausbrüche sich leider verlängern und deshalb übertreiben die Nachrichtensendungen nicht, wenn sie Schreckensbilder aus Afrika versenden. 

Vor einer Woche erst trafen sich junge Menschen aus afrikanischen Ländern in Dakar, um über Jugendarbeitslosigkeit und wirtschaftliche Entwicklung zu diskutieren. Junge Menschen bis 25 stellen in vielen afrikanischen Ländern die Mehrheit der Bevölkerung; junge Menschen sind in der Mehrzahl arbeitslos. Und die Einwohnerzahlen nehmen weiter zu, werden das Heer der Arbeitslosen weiter füllen. In einem braven Kommuniqué baten die Versammelten den anwesenden Präsidenten des Senegal, Macky Sall, ihre Forderungen an die zuständigen Institutionen der UNO weiterzuleiten. „Wie sieht es aus mit den Milleniumszielen ?“, fragt die junge Generation.

Wie lange werden die zur Untätigkeit Verdammten noch brave Petitionen an die Politiker richten? Oder individuell eine gefährliche Flucht Richtung Lampedusa wagen? Wie lange können in guter afrikanischer Tradition die Familien noch solidarische Netze spannen? Ein asiatischer Aufschwung à la Vier Tiger ist in größerem Umfang nicht in Sicht, wenngleich wachsende Bevölkerungszahlen in der Theorie auch größere Märkte und zusätzliche Arbeitsplätze verheißen.

Die Friedenswünsche meines alten Lateinlehrers zum neuen Jahr haben uns sehr gefreut. Nicht sympathische Konvention sprach aus ihnen sondern berechtigte Sorge. Mögen sie unsere Hoffnung auf friedliche Entwicklung bestärken!

ADVENT, ER KOMMT UNS ZU RETTEN

„Sogar die Religionen revitalisieren sich, und der scheinbare Religionsschwund ist eine europäischer Sonderfall.“

Hermann Lübbe, F.A.S. vom 22. Dezember 2013

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Stellen wir uns einfach vor, auf Taxis wäre eine ganz andere „Werbung“ zu lesen. „Danke Jesus!“ oder auch „Danke, Heiliger Josef!“ oder „Danke, Maria!“, „Danke, Heilige Familie!“. Nicht zu vergessen die Aufschrift auf den neuen Fernbussen „Danke, Papst Franziskus!“ Von Sénégal aus betrachtet, wo man nicht vergisst, den örtlichen Marabouts, den heiligen Männern und heiligen Stätten der verschiedenen Bruderschaften auf Automobilen zu danken, hat Hermann Lübbe recht: ungewöhnlich, dass auf deutschen Verkehrsmitteln solcher Dank nicht zu lesen ist. Schließlich hat Jesus, durch den Gott uns gerettet hat, den Menschen vor zweitausend Jahren versprochen, als Emmanuel bei Ihnen zu bleiben bis zum Ende der Welt. An weiteren Gründen zu danken mangelt es nicht, zum Beispiel für den Frieden in Europa nach Jahrhunderten der Kriege. Und an Anlässen zu bitten ebenfalls nicht. Selbst wer im Frieden mit seiner Familie, den Kollegen oder Nachbarn lebt, braucht nur einen flüchtigen Blick in die Medien zu werfen, um sich das Sehnen nach Frieden der Menschen in Syrien, Südsudan oder Ostkongo vorstellen zu können, ihre Stoßgebete zum Himmel. Der Messias ist zu uns gekommen und er wird wiederkommen, um endlich Krieg und Greuel ein für alle Male in seinem Reich des Friedens zu beenden. 

Wie wäre es bis dahin mit Friedenstaxis und Friedensbussen, Friedenszügen und Friedensflugzeugen? „Lanzen zu Sicheln!“,  „Schwerter zu Pflugscharen!“ Europa muss ja kein Sonderfall bleiben.

Wahre Weihnacht

„Peters Weihnachtsmärchen“, so würde diese Geschichte wohl heißen, hätte sie sich denn in Deutschland abgespielt. Aber sie spielt nicht in Deutschland, auch nicht in Europa sondern an einem Ort ohne Weihnachtsbäume, irgendwo in Westafrika, wo es trotzdem viel mächtigere Bäume gibt als die Nordmanntanne. Nennen wir die Geschichte besser „Peter und der Missionar“ oder „Weihnachten für Pierre“. 

Pierre — wie er sich nach seiner Taufe nennen wird — lebt einen kräftigen Steinwurf entfernt von seinem kleinen Dorf im amphibischen Delta des Flusses, der dem ganzen Landstrich seinen Namen und seinen Reichtum gegeben hat: Casamance. Er lebt alleine in einer alten, strohgedeckten Hütte. Niemand aus dem Dorf besucht ihn, den Leprakranken, denn die Menschen haben Angst vor seiner Krankheit, die seine Hände und Füße zu klumpenartigen Gliedern verkrüppelt hat. Leprageschwülste um seine Augen reißen diese weit auf und verschreckten auch den Mutigsten aus dem Dorf endgültig, wenn sich denn überhaupt jemand dem Ausgestoßenen nähern würde.

Wäre da nicht ein Missionar gewesen, Pierre hätte seinen alten Namen behalten und wäre bis zu seinem Tod alleine dahinvegetiert. Für den respektvoll Père genannten Missionar  aus dem Elsaß mit dem schönen deutschen Familiennamen Weber bedurfte es nun gar keines besonderen Mutes, um Pierre aufzusuchen, als er von seiner Existenz erfuhr. Eines morgens klopft er bei ihm an, grüßt ihn, reicht ihm die Hand, erklärt sich, öffnet Fenster und Türen, desinfiziert die Hütte und bereitet dem Kranken ein Frühstück zu. Pierre erlebt ein Wunder. Und dieses Wunder sollte sich auch noch Woche für Woche jeweils am Samstag morgen wiederholen, wenn der Missionar eine kleine Gruppe Schüler mitbrachte, die sich um den Kranken und seine armselige Hütte kümmerten. Vor dem Abschied ließen sie ihm immer einen Wochenvorrat an Nahrungsmitteln zurück und Pierre dankte Allah für diese Gnade. 

Die Frohe Botschaft übersteigt aber bei weitem ein Samstagswunder und so lernte der Einsiedler voller Dankbarkeit das Vaterunser und das Gegrüßet seist Du Maria. Er erhielt einen Rosenkranz und nahm sich viel Zeit für Gebete. Bald wurde er vor seiner Hütte im Beisein einer Schülerschar getauft und nahm den Namen Pierre an. Er war jetzt der Einzige im Dorf, der einen christlichen Namen trug.

Weihnachten nahte und das große Fest der Geburt Christi sollte unseren Leprakranken ein weiteres Mal überraschen. Man quartierte ihn für einige Zeit in eine hergerichtete Garage in Elana um, dem nächsten Dorf mit Kirche, und als er zurückgebracht wurde, wollte er seinen Augen nicht trauen: von der alten Hütte und seinen Lumpen war nur ein Aschehaufen übergeblieben. Stattdessen erwartete ihn eine neue Lehmhütte mit Wohnraum, Schlafraum, kleiner Küche und kleinem Bad. Zu dessen Versorgung war ein Wasserreservoir aufgestellt worden. Und der Boden der Hütte war tatsächlich zementiert! Der Missionar und seine jugendlichen Helfer hatten ganze Arbeit geleistet. Pierre erhielt auch neue Kleider und Wollsocken zum Schutz für seine Hand- und Fußstümpfe.

Als stolzer Elsässer wollte Père Weber aber eine ganze Sache, nichts Unvollendetes. Was war mit den Dorfbewohnern, warum blieben sie noch immer weg? Immerhin schickten sie viele Kinder und Jugendliche in die katholische Schule. Und dort konnte der Missionar eine Gruppe von Jugendlichen aus Pierres Dorf überzeugen, dass man sich vor Leprakranken nicht fürchten muss. Bald übernahmen sie den Samstagsdienst in der Hütte.

Pierre wurde gesund und starb hochbetagt mit über 80 Jahren. Man fand ihn eines Tages tot auf seinem Bett liegend, die Beine zum Gebet gekreuzt und den Rosenkranz um seine Handgelenke gebunden. Pierre starb im Weihnachtsfrieden mit Gott und der Welt. Elana, das Dorf mit Kirche und Schule, beerdigte ihn wie einen der Ihren: Trauerfeier, Grab, Anzug und Krawatte für den Toten, Gebete, Gesänge. „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein…“ (Matt. 11,5) Elana, ein unbekanntes Dorf nahe des Casamancedeltas, lebte das Evangelium. 


© Hans Georg Tangemann / Françoise Badji 2013

 

Antonias Geschichte

„Natürlich helfe ich!“ heißt es oft spontan. Und in der Tat ist es „natürlich“, Opfern von Kriegen, Vulkanausbrüchen, Wirbelstürmen oder anderen Katastrophen zu helfen. Da hatte Arthur Schopenhauer sicherlich recht: Menschen helfen aus Mitleid und bedürfen keiner Moralpredigt oder anspruchsvoller Ethik, um den Leidenden die Hand zu reichen. Doch neigen Menschen ebenso „natürlich“ zum Gegenteil, nämlich zum Ausbeuten der Ärmsten, wie uns der Prophet Amos vor beinahe 3000 Jahren schon berichtet hat:

Am 8, 4-7

4 Hört dieses Wort, die ihr die Schwachen verfolgt und die Armen im Land unterdrückt.

5 Ihr sagt: Wann ist das Neumondfest vorbei? Wir wollen Getreide verkaufen. Und wann ist der Sabbat vorbei? Wir wollen den Kornspeicher öffnen, das Maß kleiner und den Preis größer machen und die Gewichte fälschen.

6 Wir wollen mit Geld die Hilflosen kaufen, für ein paar Sandalen die Armen. Sogar den Abfall des Getreides machen wir zu Geld.

7 Beim Stolz Jakobs hat der Herr geschworen: Keine ihrer Taten werde ich jemals vergessen.

2014-03-24 um 09-45-52

Und so wundert es mich nicht wirklich als ein Bekannter auf eine Bauruine im Nachbarort zeigt und kommentiert: „Hier sollte ein Krankenhaus enstehen. Spanier hatten Geld gesammelt und man fing hier auch gleich an zu bauen. Doch nach Fundament und fünf Lagen Steinen war dann schon Schluss. Als eine spanische Delegation »Richtfest« kam, fand sie nur diese Ruine vor.“

Und so bin ich auch nicht erstaunt, als meine Frau — auf die Präsenz des „Weißen“ in unserem Wohnviertel und dessen Möglichkeiten zu helfen angesprochen — energisch erwidert: „Ihr bekommt keinen Cent! Das Geld soll doch nur in eure Taschen wandern.“ In der Tat sind die Beispiele für zweckenfremdete Hilfe vom einfachen Wohnviertel bis in die hohe Politik Legion. „Kann man denn gar nichts tun?“ fragen dennoch ungeduldig aufgeklärte Spendenwillige. Hören wir Antonias Geschichte.

Antonia ist Beterin und Seherin. Sie schart Hilfsbedürftige aller Art um sich, Menschen, die in modernen Ländern zum Arzt oder zum Psychologen gehen würden. Sie erhalten bei Antonia kostenlos Hilfe, bringen vielleicht ein paar Kerzen oder Weihrauch mit, danken, indem sie nach ihrer Heilung weiter zu den Gebeten erscheinen und anderen Leidenden Trost spenden. Wer begütert ist, wird Antonia materiell unterstützen, nach eigenem Ermessen. Franzosen, die sie — beeindruckt von ihrer Hilfe — nach Frankreich eingeladen hatten, glaubten die Antwort auf die Frage „Kann man denn gar nichts tun?" gefunden zu haben. „Wir haben doch hier in den Großstädten die ,Restos du cœur‘, in denen Bedürftige eine einfache Mahlzeit erhalten. Das wäre doch genau das Richtige für die zahlreichen Hungernden bei Euch. Wir haben 10.000 € gesammelt. Damit könnt Ihr doch starten!“ Antonia war — erschrocken. 

Danke, aber Geld ist vom Teufel!“

„Vom Teufel, wenn wir helfen?“

„Vom Teufel, denn Ihr ahnt ja gar nicht was passiert, wenn eine solche Summe auftaucht!“

„Du richtest ein Restaurant ein, beschäftigst Frauen, die Arbeit suchen, als Köchinnen und schon läuft die Hilfe.“

„Und schon ist der Teufel los, denn plötzlich ist jeder ,arm‘ und bittet um Suppe, anstatt sich selbst anzustrengen.“

„Dann stellt noch ein paar starke Männer ein, die eine Auswahl treffen; oder gebt Ausweise aus.“

„Ausweise lassen sich zu Geld machen und die Zurückgewiesenen werden zum ,Marabout‘ gehen, um für die Familien der ,starken Männer‘ ein Unglück zu bestellen. Oder die Männer lassen sich ihre Auswahl heimlich bezahlen und die Frauen zweigen etwas für die Familie ab.“

Antonia hat das Geld nicht angenommen. 

„Aber es gibt doch Beispiele für erfolgreiche Hilfe!“ In der Tat, doch die Bedingungen sind sehr streng. Ein Freund von uns hat in der EU Hilfsfonds angesprochen und tatsächlich das Geld für eine Primarschule zusammenbekommen. Kaum hatten die Bauarbeiten begonnen, gab es auch schon das erste Rendez-vous mit dem Teufel. Auf maliziöse Weise verschwandt immer wieder Material, der Bau geriet ins Stocken. Ermahnungen und Diskussionen fruchteten nicht, denn sie wurden als willkommene Einladung zur Übung in Rhetorik aufgefasst. Der Teufel hat für Jesus ja sogar die Bibel zitiert. Erst als unser Freund sich entschied, vor Ort zu bleiben und Tag für Tag die Bauarbeiten zu überwachen, ging es mit dem Bau wieder voran. 

Kennen Sie also eine wirklich verlässliche Person vor Ort? Ist diese Person bereit, die Hilfe täglich zu betreuen? Dann können Sie in der Tag Hilfe wagen — ohne Erfolgsgarantie

© 2013 HGT

 

BIENHEUREUSE CELLE QUI A CRU (Lk 1, 45)

Das muss ein besonderes Ereignis sein, zu dessen Vorbereitung sich der Innenminister, der Provinzgouverneur und weitere Notabeln mit dem Direktor des Katholikenwerkes treffen. Man spricht darüber im Fernsehen und die große Zeitung „Le Soleil“ gibt wieder eine Sondernummer aus diesem Anlass heraus. Pilger besorgten sich rechtzeitig den diesjährigen Stoff mit dem aktuellen Logo, insistieren beim Schneider, das Wallfahrtskleid oder Wallfahrtshemd auch ja rechtzeitig fertigzustellen. In den Pfarren werden landesweit Busfahrten für Zehntausende organisiert. Die Sportlichen schließlich sprechen ab, wie die 50 Kilometer vom Startplatz am Cap des Biches vor der Hauptstadt Dakar an der Küste entlang bis zum Kliff von Poponguine in der Nacht zurückzulegen sind. 

Das muss ein besonderer Ort sein, an dem ein bretonischer Missionar, Monseigneur Picarda, Bischof von Dakar, vor seinen Mitbrüdern nach dem 70 Kilometermarsch ausrief: „Welch wunderbarer Ort für eine Marienstätte!“. Als Bretone fühlte er sich an Notre-Dame de la Délivrande und seine Schwarze Madonna in der Basse-Normandie bei Bayeux und Caen erinnert, der er schon auf in seiner Missionszeit auf der Karibikinsel Martinique begegnet war. Im Volksmund nannte man die Kliffpartie an der senegalesischen Küste am Cap de Naze „Zuflucht der Fischer“, das Kliff selbst „Schlangenkopf“. Maria als Zuflucht der Fischer zertritt den Kopf Satans! Am folgenden Pfingstmontag im Jahr 1888 begann die Geschichte der Wallfahrt zur Schwarzen Madonna von Poponguine. Und ein Höhepunkt in den nunmehr gefeierten 125 Jahren war sicherlich der Besuch Johannes Pauls II., der hier am 21. Februar 1992 die Messe zelebrierte, wobei er sicherlich auch an Tschenstochau gedacht hat.

Es war ein einzigartiges Ereignis, als der Engel Maria die Botschaft von der Menschwerdung Gottes überbrachte. Und es war einzigartig, wie Maria diese Botschaft aufnahm. Sie fragte nicht, ob dies überhaupt möglich sei; sie fragte den Engel, wie dies geschehen solle. Die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ, wird darum selig genannt, unterwegs auf dem Weg zu Gott. Maria ist uns besonders im Jahr des Glaubens auch als Pilgerin Vorbild. © HGT 2013


© HGT 2016